Während des gesamten Lebenszyklus des Nintendo DS erschienen nur sehr wenige Spiele, welche die neuen Steuerungsmöglichkeiten, die mit der Einführung der Handheld-Konsole auf den Plan traten, auf eine sinnvolle und natürlich wirkende Art und Weise zu nutzen versuchten. Wie der Name bereits verrät (DS steht kurz für Dual Screen) verfügt das Gerät über zwei Bildschirme; einer davon ein Touchscreen, der sowohl mit den Fingern als auch mit dem beiliegenden Stylus bedient werden kann. Genauso war zum ersten Mal bei einer tragbaren Nintendo Konsole ein Mikrofon eingebaut. Die meisten Spiele verwendeten zur Eingabe von Befehlen jedoch primär oder sogar exklusiv nach wie vor die für das Spielen von Videospielen etablierten Knöpfe und Tasten der Konsole. Gerade bei Titeln, die vom Gameboy Advance geportet wurden, gab es dafür auch kaum Möglichkeiten, ohne die Spiele vorher noch einmal komplett zu überarbeiten. In manchen Fällen wurde der zweite Screen immerhin zum Anzeigen von zusätzlichen Informationen verwendet, aber allgemein wurden das Potenzial der Hardeware selten voll ausgeschöpft.

Aber auch bei vielen Spielen, die für den DS optimiert oder sogar exklusiv für diesen entwickelt wurden, erfolgte die Einbindung von Touchscreen und Mikrofon in die allgemeine Steuerung oft auf eher suboptimale Weise. Häufig wurden diese lediglich ergänzend oder für Kleinigkeiten und Minispiele genutzt, was diesen Hardwarefunktionen meistens den Eindruck bloßer Gimmicks gab. Selbstverständlich gibt hierfür Gegenbeispiele, in denen die Nutzung der Steuerung sehr intuitiv wirkt, wie etwa Metroid Prime Hunters, die Professor Layton Reihe oder Ghost Trick: Phantom Detective. Besonders interessant in Bezug auf die Nutzung der DS Hardware für Storytelling ist außerdem das inzwischen auch auf anderen Konsolen erschienene Zero Escape: Nine Hours, Nine Persons, Nine Doors. Diese Besonderheit des Spiels auf dem DS(worum es sich genau handelt möchte ich hier nicht vorweg nehmen) sind in den Ports bedauerlicherweise verlorengegangen. Anders sieht das bei einem weiteren storyfokussierten Spiel aus, welches bis heute allerdings ausschließlich auf dem Nintendo DS spielbar ist: Hotel Dusk: Room 215.

Hotel Dusk: Room 215 ist ein Adventure Game des inzwischen zehn Jahre insolventen japanischen Studios CiNG. Neben Hotel Dusk entwickelten diese u.a. noch dessen Fortsetzung Last Window: The Secret of Cape West, eine weitere nischige Adventure Reihe bestehend aus den zwei Spielen Another Code: Two Memories und Another Code: R – A Journey into Lost Memories sowie das RTS Rollenspiel Little King's Story. In ihm folgen wir dem inzwischen als Vertreter arbeitenden Ex-Cop Kyle Hyde auf der Suche nach seinem ehemaligen Partner Bradley, der nach einem Vorfall vor drei Jahren als verschollen gilt. Schließlich wird Kyle während seiner andauernden Suche von einem Auftrag in das abgelegene Hotel Dusk geführt, welches vor Jahren einmal ein fluorierender Ort gewesen sein soll, inzwischen aber ziemlich heruntergekommen ist. Dort angekommen wird er vor die Aufgabe gestellt, sowohl die Vergangenheit des mysteriösen Etablissements als auch die verschiedenen Geheimnisse der aktuell dort residierenden Gäste ans Tageslicht zu bringen.

Durch die einzigartige Atmosphäre des Settings, den Zeichenstil der Figuren, welche allesamt aussehen wie auf einen Block gezeichnete Skizzen, die vielfältigen Hintergrundgeschichten der Hotelgäste und den offensichtlichen Einfluss der Serie Twin Peaks auf die Gestaltung verschiedener Aspekte des Spiels bietet Hotel Dusk viel Raum für Auseinandersetzungen. Ich allerdings möchte mich primär mit der innovativen und immersiven Weise befassen, auf welche die Bedienung der Konsole während des Spielens von Hotel Dusk in die Erzählung eingebunden wird.

Ein elementarer Bestandteil der Welt des Spiels ist Kyles Notizbuch, in welchem im Laufe der Handlung immer wieder Beobachtungen und wichtige Informationen festgehalten werden. An bestimmten Punkten geschieht dies automatisch, allerdings können die Spielerinnen auch selbstständig einige der Seiten frei beschriften. Ob dabei tatsächlich relevante Informationen notiert werden oder ob man einfach ein bisschen herumkritzelt, liegt dabei im eigenen Ermessen. Das besondere an dieser Möglichkeit der Interaktion mit der Geschichte: das gesamte Spiel wird im Format des Notizbuchs präsentiert. Wie z.B. bei Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging wird auch beim Spielen von Hotel Dusk der Nintendo DS um 90 Grad gedreht in der Hand gehalten. Auf diese Weise erleben wir die Story wie Kyle Hyde aus der Perspektive einer ermittelnden Detektivin; auch wir haben in der einen Hand das Büchlein und in der anderen den Stift, um letztendlich durch das Kombinieren von Informationen die unterschiedlichen Probleme und Mysterien des Spiels lösen zu können.

Sowohl bei der Bewegung durch den Raum, als auch in Gesprächen lässt sich ausschließlich mit dem Touchscreen navigieren. Besonders interessant ist dabei, wie durch die zwei Bildschirme sowohl Untersuchungssequenzen als auch Dialoge zwischen zwei Figuren inszeniert werden. Hier findet eine sehr filmische Darstellung im Sinne des Schuss-Gegenschuss Prinzips statt, nur sieht man eben beide Einstellungen gleichzeitig statt hintereinander geschnitten.

SPOILERWARNUNG: Es folgt die Schilderung eines wichtigen dramatischen Moments im letzten Drittel des Spiels. Wer diesen nicht gespoilert haben will, überspringt bitte den nächsten Absatz

Diese Präsentation wird in einer spezifischen Szene besonders gut und effektiv im Zusammenhang mit dem Gameplay genutzt. Als die stumme Mila im 9. Kapitel des Spiels plötzlich kollabiert, versucht Kyle, sie wiederzubeleben. In der entscheidenden Szene wird er auf dem einen und die bewusstlose Mila auf dem anderen Bildschirm dargestellt. Es gilt, eine Mund-zu-Mund-Beatmung durzuführen. Doch wie soll das gehen? Vielleicht indem man einfach in das Mikrofon pustet? Weit gefehlt! Man muss Kyle und Mila tatsächlich physisch aneinander annähern und da sich beide auf separaten Bildschirmen befinden, geht das nur, indem man den DS an seinem Scharnier schließt und anschließend wieder öffnet. Anschließend wird Mila ihre Augen wieder öffnen. Sie wurde wie die Konsole aus ihrem zusammengeklappten Zustand befreit.

SPOILER Ende

Leider sind nicht alle Nutzungen der spezifischen Hardware in Hotel Dusk so außergewöhnlich und wirkungsvoll wie dieser eine Moment. Natürlich gibt es auch in diesem Spiel mehrere gimmickhafte Minigames, in denen man z.B. Puzzles vervollständigen, Schieberätsel lösen oder zum Entfernen von Schmutz ins Mikrofon pusten muss. In einer Szene muss man sogar gegen eine andere Figur Bowling spielen. All diese Fälle erinnern jedoch nichts an der besonderen Art und Weise, auf die Hotel Dusk sich die Materialität des Mediums bzw. spezifisch des Nintendo DS zunutze macht. So war es beispielsweise eine erstaunlich aufwendige Erfahrung, Hotel Dusk auf dem relativ schweren New 2DS XL durchzuspielen, während man zum Halten nur eine Hand zur Verfügung hat. Während man normalerweise die Nutzung eines gewissen Controllers nicht hinterfragt, wird man sich so der Physikalität des Erlebens von Videospielen auf neue Weise bewusst.

Auch wenn die Navigation mit dem Stylus oft ein wenig mühsam ist und man viel zu häufig durch falsche Dialogentscheidungen zurückgesetzt wird oder sogar Game Over geht, macht diese Art der Präsentation sowohl das Mystium von Hotel Dusk interessanter, als auch die Identifikation mit seinem Protagonisten stärker. Dem ist natürlich auch zuträglich, dass Kyle Hyde von einigen grimmigen Momenten einmal abgesehen, ein extremer Sympathieträger ist. Das Spiel funktioniert zum einen aufgrund seiner Einzigartigkeit(die stilistisch sehr ähnliche Fortsetzung einmal ausgenommen) zum anderen aufgrund der Tatsache, dass Story, Präsentation und Gameplay haargenau aufeinander abgestimmt sind. Selbstverständlich gibt es auch abseits vom Nintendo DS Titel, denen dies zum Teil auf elegantere Weise gelingt, jedoch sind wenige in ihrer ästhetischen Gesamtheit so charmant wie dieses unscheinbare Adventure Game.

In dem folgenden Beitrag werden Grundelemente der Prämisse der ersten beiden Zero Escape Spiele vorweggenommen. Es kommen jedoch keine Spoiler in Bezug auf spezifische Wendungen in der Handlung oder Hintergrundgeschichten von Figuren vor.

Zero Escape ist eine Trilogie von Visual Novels und Adventure Games, die zwischen 2009 und 2016 sowie zwischen 2010 und 2017 im Westen erschienen. Sie besteht aus den Spielen „Nine Hours, Nine Persons, Nine Doors“ (oft einfach kurz 999), „Virtue’s Last Reward“ (in der Regel als VLR abgekürzt) und „Zero Time Dilemma.“ Da der Erfolg der Reihe in Nordamerika erstaunlicherweise wesentlich größer ausfiel als in Japan, wandelten sich die Präsentation nach Virtue’s Last Reward von einem eher textbasierten Adventure (wenn auch mit animierten Figuren und Sprachausgabe) hin zu einer Erzählung, welche den Walking Dead Telltale Spielen ähnelt, in Zero Time Dilemma. Alle Teile der Reihe liegen lediglich in englischer Text- und Sprachfassung vor.

Was sich vom Anfang mit 999 über Virtue’s Last Reward hin zum finalen Zero Time Dilemma wie ein roter Faden durch die Reihe zieht, ist das Szenario des Death Games. In einer Situation, welche teilweise dem ersten der Saw Filme gleicht, finden sich mehrere, einander größtenteils wildfremde Menschen zusammen in einem Gebäudekomplex eingesperrt, welchem sie durch Kooperation entkommen müssen. Dazu müssen sie immer wieder Rätsel in “Escape Rooms” lösen und durch auf verschiedene Weisen versperrte Türen gehen. Das ist allerdings nicht ganz so leicht. Immerhin schenkt man einer fremden Person in einer solchen Situation meistens nicht so einfach Vertrauen. Hinzu kommt als erschwerender Faktor die bereits erwähnte tödliche Komponente. In ihr Gefängnis gebracht werden die Protagonistinnen jedes Mal von Zero, einer mysteriösen Gestalt, die sie zur Teilnahme an einem kranken Spiel über Leben und Tod zwingt.

Die Teilnehmer des ersten Nonary Games in 999
In 999 befindet sich die Truppe im Inneren eines alten Kreuzfahrtschiffes. Die neun Gefangenen besitzen jeweils Armbänder, auf welchen die Zahlen von 1–9 angezeigt werden. Um zu entkommen, müssen die Figuren durch nummerierte Türen gehen, am Ende derer sich angeblich ein Ausgang befindet. Durch die Türen können nur Gruppen von 2–5 Leuten gehen, bei welchen die Quersumme ihrer Armbänder der Zahl auf der Tür entsprechen. Da die Figuren einander nicht Vertrauen, wir ihre Hintergründe am Anfang überhaupt nicht kennen und offensichtlich alle ihre eigenen Ziele verfolgen, gibt es im Laufe der Handlung immer wieder Streit darüber, durch welche Tür man zusammen gehen soll. Dabei drängt die Zeit: Wenn sie nach 9 Stunden nicht entkommen sind, verlieren sie das Spiel und als Konsequenz daraus ihr Leben. Den Grund für dieses tödliche Spiel und Zeros Motivation erfahren wir im Verlauf der Geschichte. Das soll hier jedoch nicht näher thematisiert werden.

Vielmehr soll es ausführlich um die Situation gehen, welcher der Cast des zweiten Teils Virtue’s Last Reward in diesem Spiel ausgesetzt wird. Der Autor und Director der Reihe Kotaro Uchikoshi ist bekannt dafür, in seinen Werken unterschiedlichste philosophische Theorien, die ihn aktuell beschäftigen, einzuweben. Dazu zählt u.a. pseudowissenschaftlicher Unfug wie die Schriften Rupert Sheldrakes aber auch legitim interessante Fragestellungen wie das Gefangenendilemma im Fall von Virtue’s Last Reward.

Das Gefangenendilemma ist ein Konzept aus dem mathematischen Teilgebiet der Spieltheorie, welches jedoch auch wie die Mathematik als Ganzes klar mit dem philosophischen Teilgebiet der Logik zusammenhängt. Es schildert folgenden Sachverhalt: Kriminelle
r A und Krimineller B (im Spiel betitelt als Apple and Banana) haben zusammen ein Verbrechen begangen. Dabei wurden beide unabhängig voneinander inhaftiert und werden nun separat verhört. Beiden wird dabei der gleiche Deal angeboten: Wenn sie ihr gegenüber verraten, kommen sie selbst mit einer milderen oder sogar ohne Strafe davon (hier variieren die Beispiele). Es gibt insgesamt vier mögliche Ausgänge für dieses Szenario:

Keiner der beiden gesteht; beide erhalten eine mäßige Strafe

A gesteht und B schweigt; A erhält gar keine/eine Minimalstrafe und B die Höchststrafe

B gesteht und A schweigt; B erhält gar keine/eine Minimalstrafe und A die Höchststrafe

Beide gestehen; beide werden hart bestraft

Da die Partners in Crime dabei nicht miteinander kommunizieren können, also die Entscheidung des anderen jeweils nicht erfahren oder beeinflussen, läuft das Dilemma darauf hinaus, dass beide Beteiligten dazu tendieren, der/dem anderen nicht zu vertrauen und sie/ihn zu hintergehen. Obwohl das erste Szenario im Interesse beider Seiten liegen würde, können sie sich aufgrund der genannten Bedingungen nicht aufeinander verlassen.

Im zweiten Teil der Zero Escape Reihe wird das Gefangenendilemma im sogenannten Ambidex Game verarbeitet. Erneut sind die neun Protagonist
innen in einem Gebäudekomplex eingeschlossen, den sie nur durch eine mit einer riesigen 9 beschrifteten Tür verlassen können. Um die Tür zu öffnen und hindurchtreten zu können, muss man insgesamt 9 Bracelet Points (kurz BP)sammeln. Die Tür kann lediglich einmal geöffnet werden und nur wer auch wirklich 9 BP hat kommt hindurch, ohne vom Mechanismus des besagten Armbands vorher getötet zu werden. BP kann man nur durch das Ambidex Game enthalten, welches immer nach dem lösen aller Escape Rooms einer Ebene gespielt wird. Dabei spielen immer die Figuren gegeneinander, die zuvor zusammen einen Raum gelöst haben. Da es sich bei diesen Teams aussschließlich um Dreiergruppen handelt, spielen jeweils immer zwei gegen eine(n). Für das Spiel begeben sich beide Seiten in voneinander isolierte Kabinen und entscheiden, ob sie ihr Gegenüber verraten oder sich mit ihm Verbünden wollen. Die Seite mit zwei Spielerinnen kann sich dabei vorher beraten. Die vier möglichen Ausgänge des Spiels verhalten sich folgendermaßen:

Beide wählen "ally"; beide erhalten +2 Punkte

Eine Seite wählt "betray" und die andere "ally"; wer "betray" gewählt hat erhält +3 und wer "ally" gewählt hat -2 Punkte

Beide wählen "betray"; beide erhalten +/-0 Punkte

Alle (unfreiwilligen) Teilnehmer
innen dieser Version des Nonary Games starten mit 3 BP. Sinken die BP einer Figur auf/unter 0, wird sie vom Mechanismus des Armbands getötet. Wer das Ganze einmal nachrechnet, wird feststellen, dass das Spiel, unter der Voraussetzung dass alle hintereinander “Ally” wählen, nach drei Runden ohne Schaden für irgendjemanden vorbei sein könnte. Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Die Figuren sind einander größtenteils fremd, vertrauen einander also nicht und haben unterschiedliche Ziele, welche manche von ihnen ohne Rücksicht auf Verluste verfolgen. Kann man also umgekehrt erwarten, dass fast alle beteiligten immer ausschließlich ihr Gegenüber betrügen oder? Nun ja…

Offensichtlich übersteigt seine Anwendung in der Geschichte von VLR in verschiedener Hinsicht den ursprünglich für das Gefangenendilemma angelegten Rahmen. So wird, um nur ein Beispiel zu nennen, die Entscheidung — in diesem Fall zwischen “Ally” und “Betray” — mehrfach widerholt, bevor das Schicksal der Teilnehmenden besiegelt ist. Eine wie auch immer geartete Abweichung von den originalen Bedingungen dieses Problems wäre de facto allerdings genauso bei jeder realen Anwendung außerhalb eines rein wissenschaftlichen Kontexts, in der menschliche Akteure involviert sind, der Fall. Das liegt schlichtweg daran, dass in diesen Situationen, die theoretischen Prämissen des Dilemmas nicht immer volle Gültigkeit haben. Durch die buchstäbliche Realisierung des Gefangenendilemmas wird es von einem Problem der Logik und Spieltheorie zu einem der praktischen Philosophie oder genauer gesagt der Ethik. Gehen wir davon aus, muss der menschliche Faktor stärker in die Analyse mit einbezogen werden, da dieser den Sachverhalt verkompliziert.

Ein weiterer wichtiger Faktor, der das theoretische Konstrukt des Gefangenendilemmas von seiner Umsetzung im Spiel unterscheidet, ist die Bestimmung, dass während der Entscheidung “Ally” oder “Betray” keine Kommunikation zwischen den beiden betroffenen Partien erlaubt ist. Zwar gilt dies auch für die Situation während des Ambidex Games — hier dürfen die beiden Teams nicht miteinander reden, allerdings finden die Entscheidungen in der Praxis eben nicht wie in der Theorie in einem Vakuum statt. Vor und nach der Abstimmung wird jeweils zwangsweise miteinander kommuniziert. Diese Tatsachte beeinflusst die vermeintliche Tendenz aller Beteiligten, ihr Gegenüber eher zu verraten. Immerhin werden sie, sofern ihre Flucht nicht unmittelbar gelingt, direkt im Anschluss von den anderen mit den Konsequenzen ihrer Tat konfrontiert werden. Umgekehrt können sich aber auch Spieler, die bereits 9 BP erreicht haben, solidarisch zeigen und mit ihrer Flucht warten, bis die anderen ebenfalls zum Entkommen bereit sind. Die Entscheidungen, die die Figuren treffen müssen sind hier also wesentlich komplexer und natürlich werden sich auch andere Persönlichkeiten für ein anderes Vorgehensweisen entscheiden. Da das Ambidex Game ihnen eine binäre Auswahl vorgibt, besteht lediglich die Möglichkeit egoistisch (ausschließlich im eigenen Interesse) oder altruistisch (im Interesse aller) zu handeln. Würden alle Teilnehmer*innen die angenommenen “Regeln” des Gefangenendilemmas internalisieren, würde ihnen dies eine egoistische Denkweise aufzwingen und sie würden ihre Entscheidungen lediglich danach treffen, welches Ergebnis allein ihnen einen punktemäßigen Vorteil bringt. Das ist zu keinem Zeitpunkt der Fall. Genauso wenig handeln alle Figuren jederzeit altruistisch. Manche Figuren sind in ihrer Handlungsweise in jedem möglichen Geschichtsverlauf gleich, während andere immer wieder hin und her schwanken. Unabhängig davon sind sie jedoch immer gezwungen, sich einer mathematischen und konsequentialistischen Logik zu unterwerfen; sie können nicht nicht an dem Ambidex Game teilnehmen, ohne zu sterben.

Im Laufe seiner ca. 40 Stunden langen Handlung löst Virtue’s Last Reward innerhalb seines spezifisch konstruierten Szenarios das ebenso spezifisch konstruierte Gefangendilemma dadurch, dass sich, je nachdem welche Entscheidungen man in den unterschiedlichen Runden des Ambidex Games trifft, die Gruppendynamik und das Vertrauen unter den Gefangenen verändert. Aufgrund des Wissens um alternative Storyverläufe, wie sie derartige Adventure Games durch ihre Gameplayentscheidungen zu bieten haben, wird es als Konsequenz daraus wiederum möglich, auf ein für fast alle Figuren ideales Ende hinzuarbeiten. Der Weg dorthin ist hart und lässt sich auch nicht mit einmaligem Durchspielen erreichen, jedoch ist er das Ziel eines jeden Playthroughs und das kanonische Ende der Geschichte. Die Überwindung des Gefangenendilemmas selbst ist Ziel des Death Games und letztendlich schaffen es all jene Figuren, die zu Kooperation und Altruismus bereit sind, dadurch ihr Leben und ihre Zukunft zu gewinnen.